Lisa Jeschkes Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen ist ein Dokument des halben Jahrzehnts 2014–2019. Obszön, geeky, politisch, argumentativ, eklig und kostümiert präsentieren die manchmal peinlich und manchmal kunstvoll deformierten Gedichte extrem traurige Lieder, Aggression in der Form hysterischen Lachens, verschwommene Literaturgeschichte, Erlebnisberichte aus dem Kapitalismus, arbeitsmüde Körper und Roboter-Mädchen. Der Band ist die von der Autorin ins Deutsche übersetzte und erweiterte Fassung von The Anthology of Poems by Drunk Women (erschienen bei MATERIALS, London 2018). Er wurde ausgewählt als eine der Lyrik-Empfehlungen 2020.
„Lisa Jeschkes Gedichte sind bis in die wechselnden Schriftgrößen hinein Angriffe auf jegliche Systematik – und darin mehr als angemessen für eine Gesellschaft, in der größtmögliche politische Energien auf das Beschwören vermeintlich wahrer schützenswerter Ordnungen verwendet werden.“ Florian Kessler
„formsprengend und mit einem Furor, der […] Gewissheiten hinwegfegt“, Antje Weber, Süddeutsche Zeitung
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Ehe für alle
für Gizem und David
Ey! Glückwunsch! Damals, also heute, als wir noch lebten
Auf dieser Seifenblase, gebleichten Seifenblase, gebleichten
Bröckelnden Seifenblase, gebleichten bröckelnden knackenden
Seifenblase, als wir separat auf silbern glänzenden Miniaturscheiben
Trieben im Grellen, verzweiflungsberührt, als wir uns auf leucht-
Silbern schwebenden Scheiben wiederfanden, deren Züge
Bestimmte Züge waren, damals, als wir brutal Trauungen zeugten,
Als wir freigelegt lagen, spinning Vitrinen und so, damals,
Als der Mann mit der Axt, er nannte sich Chef und auch wir nannten
Ihn Chef, oft vom Leben sprach und seufzte, von den eigenen
Worten zu Tränen gerührt, vom Bio-Leben und seinen Gesetzen,
Damals, als der Chef routinemäßig unsere Schädel aufzuknacken
Pflegte wie Nüsse, die Würmer herauspickte und straff entlang der
Universumskuppel zur sofortigen gleißenden Sonnen-
Trocknung aufhängen ließ, hochqualitative Fasern, aus denen das
Leinen der Minidisketten, auf denen wir flogen, produziert
Waren!, so dass wir selbst der Stoff waren!, auf dem wir flogen,
Spinning Silber, und als, trotz oder wegen der
Genannten Ereignisse, der Chef nicht davon abließ,
Vom Leben und der Natur zu sprechen, dabei unablässig schluchzte,
Gehorsam gelte seiner Tiefe, da wurde uns klar, dass die Natur
Des Lebens schon immer halbseiden gewesen war, kettensägen-
Massakerhaft halbseiden, und wenn wir gejagt waren als Monster,
Dann mussten wir dem zuvorkommen, uns selbst ungeheuer
Machen, mehr Gesetz sein als das Gesetz,
Unsere Brustkörbe selbst aufhacken, bevor er es tun konnte,
Sie nach Recht und Gesetz aufhacken,
Unsere Brustkörbe aufhacken, unsere Herzen zusammenschließen,
Schmieden zu plastischen haltbaren formbaren Ketten, unsere
Lymphknoten zusammenkleben, und waren es nur unsere Herzen,
Die wir so zusammenschlossen? Nein! Wir klebten Herz an Leber,
Streichelten einander sanft, und Wangen an Knie und Haarsträhnen
An Zähne und tote Tiere an Schenkel und Zungen an Lebende
UND GÄBE ES NICHT DICH DANN GÄB ES NICHTS
Und Flügel an Pommes aus saurem Gelee und leck nackte Brüste
An Stühle und Diagramme der Wettervorhersage an Warum hockst
Du auf ihr das gefällt mir und Gesundheitskarten an Ohren und
So standen wir deformierten Teilgestalten dann da, in der Schwebe.
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Lisa Jeschke (*1985) lebt – nach längerem Aufenthalt in Großbritannien – seit 2016 in München. Neben Lyrik macht sie Performances und ist Mitherausgeberin des Verlags MATERIALIEN.
Lisa Jeschke
Die Anthologie der Gedichte betrunkener Frauen
hochroth München 2019
ISBN 978-3-903182-45-5
56 Seiten, Broschur
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